Gletscher-Hahnenfuß (Ranunculus glacialis)

Der Gletscher-Hahnenfuß ist ein wahrer Überlebenskünstler in den lebensfeindlichen Regionen des Hochgebirges und des hohen Nordens. In Deutschland kommt er in den Bayerischen Alpen zwischen 1950 m und 2450 m nur am Linkerskopf vor, dem mit 2459 Metern höchsten Grasberg der Allgäuer Alpen.

Rekordhalter in Sachen Lebensraum
Der Gletscher-Hahnenfuß besiedelt Gegenden, in denen kaum noch andere blühende Pflanzen überleben können. Man findet ihn in den Zentralalpen, den Pyrenäen, den Karpaten, in Skandinavien, der Arktis, Alaska und Grönland. In den Alpen ist er die am höchsten aufsteigende Blütenpflanze, er wächst am Finsteraarhorn im Berner Oberland noch in 4275 Meter Höhe. In Abhängigkeit vom jeweiligen örtlichen Klima kommt er auch in tieferen Lagen vor, in der Regel ist es ihm aber unter 2000 Höhenmetern zu warm. In Ostgrönland erreicht er sein nördlichstes Verbreitungsgebiet, nur 1300 Kilometer südlich des Nordpols. Es gibt weltweit keine andere blütentragende Pflanze, die so weit nördlich bestehen kann.
Der bevorzugte Untergrund sind kalk- und nährstoffarme lockere Geröll- und Schuttflächen aus Silikatgestein, selbst wenn diese noch in Bewegung sind, Gletschermoränen und nackter Fels. Er braucht Standorte, an denen Wasser gut versickert. Der Gletscher-Hahnenfuß wächst gerne im Schutz von Eisüberhängen, unter denen er wie in einem Glashaus gedeihen kann.

Wurzel und Blätter
Mit seinen Kriechtrieben und Pfahlwurzeln mit Faserwurzelgeflecht hat sich der Gletscher-Hahnenfuß perfekt an die kargen und lockeren Schutt- und Geröllflächen seines Lebensraums angepasst. Mit ihnen verankert er sich fest auf losem Untergrund und stabilisiert diesen gleichzeitig. Als ausdauernde krautige Pflanze, die den Winter mit ihren grünen, gestielten Blättern übersteht, erreicht der Gletscher-Hahnenfuß eine Wuchshöhe von 5 cm bis 20 cm. Die glänzenden und dadurch das Sonnenlicht besser reflektierenden Laubblätter sind dickfleischig (sukkulent) und erinnern mit ihren 3 bis 5 stumpf gezähnten Blattlappen in ihrer Form an eine Hand. Weshalb die Blätter starken Frost vertragen, ist noch nicht abschließend geklärt. Entweder liegt es an einer frostresistenten, gallertartigen Masse im Zellkern oder in den Blättern ist Alkohol in Form von Glykol als Frostschutzmittel eingelagert.

Blüten und Früchte
Die im Durchmesser etwa 3 cm breiten Blüten befinden sich einzeln am Stängelende. Gelegentlich sind die Stängel etwas verästelt, dann sitzt an jedem Astende eine Blüte. Die fünf Kelchblätter haben eine dichte, rotbraune Behaarung. Die Blüte besteht aus fünf anfangs leuchtend weißen Blütenblättern, in ihrer Mitte befinden sich die goldgelben Staubblätter. Die verblühten Kronen- und Kelchblätter fallen nicht ab sondern bleiben bis zur Ausbildung der Früchte, flachen Nüsschen mit kleinen Flügelchen, bestehen. Die Früchte segeln mit dem Wind an neue Standorte, werden durch Wasser weggeschwemmt oder durch Schneefinken verbreitet.

Perfekte Anpassung an extremen Lebensraum
Der Gletscher-Hahnenfuß hat sich perfekt spezialisiert und an seine kalte Umgebung angepasst. Da Bienen, Hummeln oder Schmetterlinge in seinem Lebensraum nicht mehr vorkommen, wird er durch Fliegen bestäubt. Diesen signalisiert er durch einen Wechsel seiner Blütenfarbe von weiß über rosa zu einem kräftigen rot, ob die jeweilige Blüte bereits bestäubt ist oder ob sie noch Nektar und Pollen enthält und ein Anflug für die Fliege noch lohnenswert ist. Die bestäubenden Fliegen können somit Energie sparen, indem sie unnötige Anflüge vermeiden und die roten, bestäubten Blüten nicht mehr besuchen. Neben diesem Energiesparservice für seine Bestäuber hat der Gletscher-Hahnenfuß auch eine Strategie entwickelt, um selber keinerlei Energie zu verschwenden. Aufgrund der sehr kurzen Vegetationsphase überwintert die sich bildende Blüte zweimal, bevor sie blüht. Im ersten Sommer wird die Knospe angelegt, im zweiten Jahr entwickelt sich die Knospe zu einer Blüte und im dritten Sommer geht die Blüte dann auf. Blütezeit ist im Juli und August. Sollten die Witterungsbedingungen im Sommer zu winterlich und für die Entwicklung der Blüte zu ungünstig sein, so kann der Gletscher-Hahnenfuß bereits entwickelte Knospen wieder zurückbilden und lebenswichtige Stoffe aus den Blättern in die Wurzelknolle zurückholen. Auch kann er bis zu sieben Jahre unter einer Schnee- und Eisdecke überleben, ohne Blüten und Blätter hervorzubringen. Mit diesen Tricks reichen ihm drei Wochen im Sommer, um genügend Energie fürs Überwintern und den nächsten Sommer zu sammeln.

Giftigkeit
Wie alle Hahnenfußgewächse, so ist auch der Gletscher-Hahnenfuß giftig. Ranunculin und Protoanemonin sind im Pflanzensaft, insbesondere in der Wurzelknolle enthalten und werden bei Verletzung der Pflanze freigesetzt. Bei Kontakt werden Haut und Schleimhaut gereizt und es kommt zu Rötungen und Juckreiz bis hin zu Blasenbildung. Gelangt das Gift in den Körper, können Vergiftungserscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schmerzen, Schwindel bis zu Lähmungserscheinungen auftreten. Wird Hahnenfuß an der Luft getrocknet, wird aus dem giftigen Protoanemonin unschädliches Anemonin.

Bald ausgestorben!?
Obwohl der Gletscher-Hahnenfuß in Deutschland äußerst selten ist, wird er gesetzlich nicht besonders geschützt. Sein ärgster Feind ist der Klimawandel und die damit einhergehende Erderwärmung. In wissenschaftlichen Berichten von ALARM, einem von der EU geförderten Forschungsprojekt zum Klimawandel, wird die Befürchtung geäußert, daß der Gletscher-Hahnenfuß bis zum Jahr 2080 ausgestorben sein könnte. Durch den Rückgang der Gletscher und die steigenden Temperaturen in den Hochlagen der Gebirge verliert der Gletscher-Hahnenfuß als Pionierpflanze zunehmend an Besiedelungsfläche, da schneller wachsende Arten seinen bisher exklusiven Lebensraum erobern und ihn verdrängen. Sobald die Gletscher vollständig abgeschmolzen sind oder der Berggipfel erreicht ist, gibt es dann keinen Ort mehr, an den er ausweichen kann und er verschwindet. Eine zusätzliche Gefährdung stellt der durch Abgase erzeugte zusätzliche Stickstoffeintrag in den Hochlagen der Gebirge dar, unter dem Pflanzen, die nährstoffarme Bedingungen benötigen, besonders leiden.