Verbreitungsgebiet und Lebensraum
Das Gewöhnliche Kohlröschen ist von den Alpen bis in den Norden Griechenlands sowie im Apennin verbreitet. In Deutschland kommt es nur in Bayern vor und ist in den bayerischen Alpen, beispielsweise am Nebelhorn, in Höhen zwischen 1200 m und 2350 m heimisch. Bevorzugte Standorte für die relativ anspruchslose Pflanze sind basenreiche hochalpine Magerrasen, die trocken oder etwas feucht sind. Am wohlsten fühlt sich unsere schokoladenbraune Schönheit auf extensiv genutzten Weideflächen mit humusreichem, lockerem Lehmboden bei voller Sonneneinstrahlung. Hier erreicht die krautige und ausdauernde Pflanze eine Wuchshöhe zwischen 8 cm und 25 cm. Hinsichtlich des Kalkgehalts im Boden ist das Gewöhnliche Kohlröschen sehr anpassungsfähig und wächst sowohl auf kalkhaltigen als auch kalkarmen Böden. Wegen ihres feinen Geruchs nach Schokolade oder Vanille wird Nigritella nigra subsp. rhellicani gelegentlich auch Schokoladenblume oder Vanilleblume genannt. Weitere volkstümliche Bezeichnungen sind Blutröserl, Brunelle oder Männertreu. Die Arbeitskreise Heimische Orchideen AHO wählten das Gewöhnliche Kohlröschen 2007 zur Orchidee des Jahres.
Gattungsbestimmung und Namensgebung
Der Laie wundert sich und der Fachmann ist verwirrt. Die zur Familie der Orchideen gehörenden Kohlröschen bergen doch einige Unsicherheiten hinsichtlich ihrer eindeutigen taxonomischen Zuordnung. Daher ist auch ihre deutsche Bezeichnung alles andere als eindeutig. Das Gewöhnliche Kohlröschen (Nigritella nigra subsp. rhellicani) wird beispielsweise auch Schwarzes Kohlröschen genannt, obwohl mit dieser Bezeichnung auch die Kohlröschenarten Nigritella nigra subsp. nigra in Skandinavien oder das Österreichische Kohlröschen (Nigritella nigra subsp. austriaca) gemeint sein können. Die Botaniker sind sich noch nicht einmal einig, ob Nigritella überhaupt eine eigene Gattung ist oder nicht doch zur Gattung Gymnadenia (Händelwurzen) gehört, also eigentlich Gymnadenia nigra heißen müsste. Der Gattungsname leitet sich vom lateinischen Wort niger ab, was schwarz bedeutet.
Die erste überlieferte schriftliche Erwähnung des Kohlröschens stammt aus einem lateinischen Gedicht des 1542 gestorbenen Schweizer Philosophen und Theologen Johannes Müller, nach seinem Geburtsort Rellikon auch Rhellicanus genannt. Er bezeichnete die Pflanze als Christi manus, als Hand Christi. Ihm zu Ehren wurde das Gewöhnliche Kohlröschen 1990 von den Biologen Herwig Teppner und Erich Klein als eigenständige Art Nigritella rhellicani vom Schwarzen Kohlröschen Nigritella nigra getrennt. Allerdings degradierten die Biologen Helmut Baumann, Siegfried Künkele und Richard Lorenz bereits 2004 das Gewöhnliche Kohlröschen zu einer Unterart von Nigritella nigra, nämlich Nigritella nigra subsp. rhellicani. Unumstritten ist aber auch diese Einordnung nicht.
Zwischen dem Gedicht von Johannes „Rhellicanus“ Müller und der aktuell vorherrschenden Bezeichnung gab es für das Kohlröschen viele weitere Namen und Zuordnungen. 1561 wurde es vom Schweizer Naturforscher Conrad Gessner als Satyrium basilicum alpinum beschrieben, Orchis palmata angustifolia alpina, nigro flore hieß es 1623 bei Caspar Bauhin. Carl von Linné bezeichnete 1753 sowohl die Bestände in Skandinavien als auch in den Alpen als Satyrium nigrum. Nach einer ganzen Reihe weiterer Namensgebungen und Zuordnungen setzten sich schließlich zwei Artennamen durch, nämlich Nigritella nigra für das Schwarze Kohlröschen und Nigritella rubra für das Rote Kohlröschen. Erst ab Ende der 1980er Jahre wurden die Kohlröschenarten weiter ausdifferenziert, so daß es heute je nach angewandter biologischer Systematik zwischen 2 und 15 Arten von Kohlröschen gibt. Grund für diese botanische Uneinigkeit ist die unterschiedliche Bewertung von blütenmorphologischen Untersuchungen und DNA-Analysen, die je nach Gewichtung mal mehr die Gemeinsamkeiten der Kohlröschenarten betonen, mal mehr deren Unterschiede.
Knolle, Blätter und Stängel
Als Knollenorchidee besitzt das Gewöhnliche Kohlröschen eine kleinere weiche Knolle aus dem Vorjahr, welche die Nährstoffreserve für den aktuellen Blütenstand bildet, sowie eine größere harte Knolle, in welcher die Nährstoffe für das nächste Jahr zur Überwinterung eingelagert werden. Die schmalen, lanzettlichen Blätter sehen aus wie Gras und wachsen dicht gedrängt. Sie sind auf der Oberseite dunkelgrün, auf der Blattunterseite etwas heller. Aus der Knolle wächst der kantige Stängel, an dem sich nur wenige kurze Blättchen befinden.
Blüten und Fruchtkapseln
Oben am Stängel, unterhalb des Blütenstands, sitzen die bräunlich umrandeten Tragblätter. Oberhalb der Tragblätter bildet sich aus 20 bis 75 einzelnen kleinen Blüten der Blütenstand, der zuerst kegelartig aussieht und später eiförmig wird. Die kurze Blütezeit reicht von Mitte Juli bis Anfang August, im Spätherbst gibt es dann nochmal eine kurze zweite Blütezeit. Die Blüte steht auf dem Kopf. Bei den meisten Orchideenarten dreht sich der reife Fruchtknoten, so daß die Lippe nach unten zeigt. Nicht so beim Gewöhnlichen Kohlröschen, hier zeigt die 5 mm bis 8 mm lange und 4 mm bis 5 mm breite, dreieckig zugespitzte Lippe nach oben. Die übrigen spitzen Perigonblätter (Blütenblätter) sind 5 mm bis 8 mm lang und 1 mm bis 2 mm breit und haben in voller Blüte die Form eines Sterns. Das Gewöhnliche Kohlröschen sticht aufgrund seiner dunkelroten bis schwarzbraunen Farbe aus jeder Blumenwiese heraus. Es existieren allerdings auch vereinzelt rosarote, orangene, weiße oder gelbe Farbvarietäten. Im Gegensatz zum apomiktischen (Fortpflanzung ohne Bestäubung) Schwarzen Kohlröschen Nigritella nigra subsp. nigra benötigt das Gewöhnliche Kohlröschen zur Bildung von Samen die Bestäubung durch Insekten, insbesondere von Schmetterlingen und Hummeln. Es wurden über 50 Insektenarten (davon 48 Schmetterlingsarten) gezählt, die das Gewöhnliche Kohlröschen besuchen. Sobald die 3 mm bis 5 mm langen Fruchtkapseln im September und Oktober reif sind, werden die nur Zehntelmillimeter großen Samen mit dem Wind verbreitet.
Gefährdung und Schutz
Laut Bundesnaturschutzgesetz ist das Gewöhnliche Kohlröschen besonders geschützt, es gilt allerdings zur Zeit nicht als gefährdet. Neben dem Eintrag von Düngemitteln in seinen Lebensraum sind Trittschäden durch Großvieh oder Wanderer sowie das Pflücken der auffälligen Blume die größten Gefahren für Nigritella nigra subsp. rhellicani. Auf nicht mehr genutzten Weideflächen hat es Schwierigkeiten, sich gegen schneller und höher wachsende Pflanzen durchzusetzen. Sobald Kunstdünger in seinen Lebensraum gelangt, stirbt das Gewöhnliche Kohlröschen ab.
Verwendung in der Volksmedizin
In der Volksmedizin fand die harte Wurzelknolle als Aphrodisiakum Verwendung. Auch sollte sie nervenberuhigend und gegen Mattigkeit helfen sowie Auswirkungen auf das Geschlecht von Ungeborenen haben.